ÜBERBLICK
Die Nördliche Flussschildkröte (Batagur baska) zählt zu den größten Flussschildkröten der Welt und kann eine Panzerlänge von bis zu 60 cm erreichen. Die Tiere sind typischerweise olivbraun gefärbt mit einem gelben Bauchpanzer. In der Fortpflanzungszeit durchlaufen die Männchen eine auffällige Veränderung: Ihre Hälse färben sich leuchtend rot, während der Kopf tiefschwarz bleibt – ein beeindruckender Kontrast.
Früher war die Art in den Flüssen und Mündungsgebieten Nordostindiens, Bangladeschs und Myanmars weit verbreitet. Heute gilt sie in freier Wildbahn als ausgestorben. Massive Überfischung und das systematische Einsammeln der Eier haben die Population an den Rand der Auslöschung gebracht. Die Weltnaturschutzunion (IUCN) stuft die Nördliche Flussschildkröte daher als vom Aussterben bedroht (Critically Endangered) ein.
WIE GROSS IST DIE BEDROHUNG?
Die Nördliche Flussschildkröte gehört zu den drei am stärksten bedrohten Schildkrötenarten der Welt. Weltweit sind weniger als 15 geschlechtsreife Weibchen bekannt. Bereits in den 1990er Jahren konnten selbst umfassende Feldstudien in Indien und Bangladesch keine einzigen wildlebenden Exemplare mehr nachweisen.
Die IUCN führt die Art nicht nur als „Critically Endangered“, sondern listet sie auch unter den 25 am meisten bedrohten Schildkrötenarten der Welt.
Unser Einsatz für eine vom Aussterben bedrohte Art
Zucht und Forschung in menschlicher Obhut
Genetische Studien unter der Leitung von Dr. Peter Praschag bildeten die Grundlage für eine wegweisende Kooperation zwischen Turtle Island und dem Tiergarten Schönbrunn in Wien. Gemeinsam etablierten wir die weltweit einzige Zuchtgruppe dieser Art außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets.
Die kontrollierte Zucht und Aufzucht ist ein entscheidender Schritt, um das Überleben dieser hochbedrohten Schildkrötenart zu sichern. Im Mai 2010 gelang uns ein historischer Meilenstein: Nach der Übersiedlung zweier trächtiger Weibchen konnte in Wien die weltweit erste erfolgreiche Nachzucht von Batagur baska verzeichnet werden. Seither erfolgen sämtliche Zucht-, Brut- und Schlupferfolge ausschließlich bei Turtle Island.
Für Arten, die kurz vor dem Aussterben stehen, ist das Wissen über ihre Fortpflanzung in menschlicher Obhut überlebenswichtig – ohne diese Kenntnisse droht der endgültige Verlust. Unsere Zuchtgruppe bringt seither jährlich Nachzuchten hervor und stellt mittlerweile rund 20 % der weltweiten Erstgeneration dar. Diese Tiere sind ein bedeutender Hoffnungsträger für die Zukunft der Art – und für unser langfristiges Ziel: Wiederauswilderung.
Im Rahmen einer erweiterten Zusammenarbeit übergaben wir bereits neun Jungtiere an den Zoo Prag, wo sie zur weiteren Bestandssicherung beitragen.
Project Batagur: Wiederentdeckung und Feldforschung
Turtle Island initiierte das „Project Batagur“, um überlebende Wildtiere in Odisha und Westbengalen (Indien) aufzuspüren – später auch in den Mangrovenwäldern Bangladeschs. Nach drei Jahren Feldforschung und Ermittlungen zum illegalen Schildkrötenhandel gelang uns der Durchbruch: Wir entdeckten drei lebende Exemplare in einem Dorfteich in Süd-Bangladesch.
Die friedlichen Pflanzenfresser galten in lokalen Fischzuchtteichen als Glücksbringer – ihre Eier hingegen als begehrte Delikatesse. Sobald ein Weibchen Eier legte, wurden diese meist sofort ausgegraben und verspeist. Wir kauften die drei Tiere auf und übersiedelten sie mit Unterstützung der Forstbehörde in ein Schutzgebiet im Bhawal-Nationalpark.
Heute beinhaltet das „Project Batagur“ eine eigene Zuchtstation mit Brutprogramm – mit über 20 Männchen und 9 Weibchen. Seit 2012 konnten hier mehr als 600 Jungtiere erfolgreich aufgezogen werden. Dabei werden die Methoden zur Inkubation, Aufzucht und Pflege laufend verbessert – ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft dieser stark bedrohten Art.
Wiederauswilderung
2016 setzten wir zwei mit Satellitensendern ausgestattete Männchen im Sundarbans-Nationalpark aus. Leider ging das Signal eines Tieres bereits nach einer Woche verloren, nachdem es sich einem Fischerdorf genähert hatte. Das zweite Tier wurde zweimal von Fischern gefangen und musste zurückgeholt werden.
Zwischen 2018 und 2022 ließen wir jährlich fünf weitere Tiere frei – doch auch sie verschwanden oder wurden wieder eingefangen. Der natürliche Lebensraum der Schildkröten, in dem es kaum Kontrolle über die kommerzielle Fischerei gibt, reicht leider weit über die Grenzen des Schutzgebiets hinaus.
Unsere Erkenntnis: Wiederauswilderung ist nur möglich durch Bewusstseinsbildung und Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung, hier gilt es auch ehemalige Wilderer, Fischer und Schildkrötenhändler miteinzubinden. Fortschritte können nur durch ungewöhnliche Allianzen ermöglicht weden.
Ein besonderer Dank gilt dem Tiergarten Schönbrunn sowie Rupali Ghosh, Sures Das, Sman Sirker und Sanjiban Gosh, deren unermüdlicher Einsatz zur Wiederentdeckung einzelner Tiere in Tempelteichen und zur lokalen Unterstützung des Schutzprojekts beigetragen hat.